Also eigentlich würde ich sagen, ich bin schon eine Menge gewohnt. Mit allen Wassern gewaschen vielleicht noch nicht, aber meine erste Tochter hat mich eindeutig vieles gelehrt:
- Niemals und damit meine ich NIEMALS! das Licht im Hausflur betätigen – das macht das Kind!
- Auf GAR keinen Fall – den Knopf am Aufzug betätigen!
- Weder DRINNEN, noch DRAUSSEN!
- Es klingelt an der Tür? Mach auf KEINEN Fall selbst auf, bis es nicht eins deiner Kinder getan hat!
- Den zweiten Teil des Satzes kannst du jetzt eigentlich an alles dranhängen, was du gerade auch nur im Kopf hast zu tun.
Ja, das Leben mit Zwei- und Dreijährigen ist sooo schön. Die sprachliche Entwicklung.
“Guten Morgen, kleiner CJ.”
“Ich bin NICHT KLEIN, Mama!”
Ja, er ist nicht mehr klein. Meint er. Zumindest in den Momenten seines Lebens, wo er nicht noch ein kleines Fläschchen trinkt oder bei uns im Bett schläft. Nein, er ist jetzt “doß, Mama!” und damit hat er auch seine ganz eigene Vorstellung von der Welt und wie sie sich zu drehen hat. Das beginnt mit so kleinen Dingen wie der Haustür. Neulich habe ich doch glatt im Winter meinem vom Joggen nass geschwitzten Mann die Haustür aufgemacht, als dieser klingelte! Ein SEEEHR großes DON’T!
Auch habe ich meinem zweijährigen Sohn unverschämter Weise eine Jacke, gefolgt von den seiner Meinung nach völlig falschen Schuhen zur Kita angezogen. Und nicht dass die 15 Minuten unglaubliches Protestgeheul über mein Fehlverhalten nicht ausgereicht hätten, nein, dann habe ich auch nicht, wie gewünscht, direkt vor der Kita-Tür geparkt (weil ich dachte, es müsste vielleicht noch jemand durchs Törchen reingehen können).
Ja, unser Sohn ist mitten in der Autonomiephase und er bekommt nicht selten einen richtigen Wutanfall, wenn die Welt nicht so läuft, wie es es sich gerade vorgestellt hat. “Nee, Mama, neeeee!!!”
Aber muss er das nicht lernen? Verwöhnt man ihn nicht sonst so sehr? Schule des Lebens, Realität und so?
Eins sei vorweggenommen: Ich erziehe bestimmt nicht antiautoritär. Mir sind Regeln wichtig und zwar Regeln, die wir Eltern aufstellen. Aber ich hinterfrage eben auch, was in meinen Kinder vorgeht. Warum sind sie gerade so wütend, so enttäuscht? Was ist denn eigentlich passiert? Es gibt Dinge, die sind augenscheinlich. Etwa als meine Tochter mal ganz, ganz wütend auf mich wurde. Ehrlich gesagt, irgendwie zurecht. Es gibt schlimme Dinge und es gibt RICHTIG SCHLIMME DINGE. Auch wenn die Situation damals nicht lustig war, habe ich im Nachhinein doch drüber geschmunzelt. Aber das heißt auch, es nicht so ernst genommen.
Da würde ich heute wohl anders reagieren. Nicht zuletzt, weil ich heute als Mama, glaube ich, ein bisschen mehr weiß (das bringen mehrere Kinder dann so mit) und andere noch ein bisschen mehr wissen und ich so etwas gerne lese. Wie das Buch Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen.* Ein Buch, das ich jedem wirklich aus voller Überzeugung empfehlen kann. Der kleine Bruder CJ hat also insgesamt Glück und ich versuche ihn oft vielmehr zu verstehen. Aber wer schonmal mit einem zwei- oder dreijährigen Kind zusammengelebt hat, der weiß: Es ist sehr, sehr Vieles nicht zu verstehen.
Also versuche ich ihn und seine Autonomiegedanken auch gewähren zu lassen. Solange er sich und anderen dabei keinen Schaden zufügt. Was heißt das in der Praxis?
Es darf auch mal mit Gummistiefeln Mittagsschlaf gemacht werden. Denn ehrlich: Klar sind die so schick, dass man sie nicht mehr ausziehen mag.
oder
Es klingelt, ich mache dem verschwitzten Ehrmann, der vom Joggen in der Kälte steht, auf. Protestgeheul CJ. Mann also wieder raus. Nochmal klingeln. Jetzt will CJ natürlich NICHT wieder aufmachen. Es darf aber auf keinen Fall ein anderer aufmachen. Es kommt der Punkt Solange er sich und anderen dabei keinen Schaden zufügt – denn es ist wirklich kalt draußen. Ich lasse den Mann also rein.
Ja, irgendwie schlechtes Beispiel. Fail gehört halt ganz normal dazu bei dieser Elternsache im Trotzalter. Was ich aber wichtig finde: Wir müssen uns hinterfragen. Ich gehöre zur Generation Das hat es früher bei uns nicht gegeben. Frei nach dem Motto: Da muss durchgegriffen werden. Aber warum denn bloß? Damit ich als Erwachsener Recht behalte? Meine Stärke beweise? Ich das letzte Wort habe? Ich frage mich das mittlerweile viel häufiger in Situationen.
Nehmen wir die Sache mit den Schuhen. Es war nicht das erste an diesem Morgen, das meinem Sohn nicht passte. Einiges lief nicht rund. Ich war mittlerweile genervt und wir mal wieder zu spät dran. Es war Winter und er wollte auch keine Jacke anziehen. Dann kam die Sache mit den Schuhen und die ließ das Fass überlaufen. Ich zog ihm ein Paar an. Er sagte, es drücke, ich sagte, dann ziehen wir die Lederschuhe an. Puff – Explosion! Er wollte doch wieder die anderen Schuhe anziehen. Da machte es bei mir Peng und ich dachte, ach was, ich schrie: “Jetzt reicht es hier, ich lasse mir doch hier nicht von einem Zweijährigen das Programm diktieren!”
Zack ins Auto, in den Lederschuhen unter lautem Protest und Handgreiflichkeiten auf beiden Seiten. Versuche ihn im Kindersitz festzuschnallen. 10 Minuten im Auto unter ganz großem Weinen, Motzen, Tränen. Und dann? Dann habe ich mich gefragt, was hier eigentlich gerade läuft. Der Stärkere gewinnt und das bin ja ich? Wofür? Weil er nicht andere Schuhe anziehen möchte? Na, soll er doch. Ihm ist das anscheinend wichtig. Also bin ich rangefahren, habe ihm am Straßenrand die Schuhe gewechselt (ja, die hatte ich schon eingepackt, aber meine Aussage “die ziehen wir in der Kita an” hat nichts genutzt). Kaum hatte er die Schuhe an, sagte er: “Danke Mama, das ist doch viel besser.” Und ich habe mich innerlich eine blöde Kuh geschimpft, warum ich überhaupt 10 Minuten diesen Machtkampf vollzogen habe.
Aber klar, mache Dinge gehen einfach nicht und ja, es ist nicht der einfachste Weg, aber man muss Kindern eben auch die Welt erklären. Auf der einen Seite wollen wir, dass unsere Kinder viel lernen, hinterfragen, neugierig sind. Auf der anderen Seite sollen sie sich mit einem bloßen Nein abtun? Das geht einfach nicht. Ist doch auch verständlich. Nein, es ist sogar toll!
Am gleichen Morgen der Schuh-Katastrophe folgte die Parkplatzkatastrophe. Die Tränen waren gerade trocken, da konnte ich nicht wie gewünscht direkt vor der Kita-Tür parken. Jetzt heißt es ernst bleiben und ernst nehmen. Glaubt mir mal, das fällt mir auch ungemein schwer. In solchen Situationen könnte ich eigentlich in schallendes Gelächter ausbrechen. Entweder so leicht irre vor Verzweiflung, oder eben weil ich es so herzig finde, wie dieser Dreikäsehoch sich über Dinge aufregt, die einfach nicht zu ändern sind. Aber wie gesagt: ernst nehmen und erklären. Und so haben wir beide 10 Minuten Gebrüll durchgestanden und dann 10 Minuten Erklärung inklusive Ortsbegehung, WARUM man denn nicht direkt vor der Kita parken kann. Ja, ich glaube, Umgang mit Kindern erfordert vor allem Wohlwollen und viel Geduld.
Diese beiden Dinge können auch bei den schlimmsten Trotzanfällen helfen. Bei denen, wo die Thematik längst vergessen ist, wohl einfach nur noch Wut und Verzweiflung beim Kind vorhanden ist. Da heißt es: Da sein, einen Arm anbieten, trösten. Die Autonomiephase ist nicht einfach, aber wir sollten doch unserem Kind eine große Stütze sein und es nicht im Machtkampf unterdrücken wollen.
PS: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen * hat übrigens einen Nachfolger bekommen: Gelassen durch die Jahre 5 bis 10.* Das steht auch direkt fest auf meiner Liste, denn ehrlich: Unsere Fünfjährige befindet sich, glaube ich, schon in dieser sogenannten Milchzahnpubertät.
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