Zwischen “Kinderbilder gehören nicht ins Netz” und dem Kind als Kunstobjekt

Diesen Beitrag hier habe ich über die letzten 1,5 Jahre schon zwei-, dreimal umgeschrieben aber irgendwie nie veröffentlicht, denn: Es fühlt sich immer jemand ans Bein gepinkelt. Will ich das? Nein. Ich möchte keinen kränken. Es ist die persönliche Entscheidung der Eltern. Aber durch einige Fake-Accounts kommt aktuell die Frage wieder auf: Gehören Kinderbilder ins Netz? Und ich stelle mir diese Frage auch.

Ja, hier gibt es schon seit Jahren kontroverse Meinungen. Man kann eine grundsätzliche Haltung einnehmen, die nur ja oder nein heißt. Beide haben ihre Berechtigung. Obgleich für mich bestimmt das Persönlichkeitsrecht eigentlich darüber steht. Das Persönlichkeitsrecht der Kinder, meine ich. Praktisch sieht das Ganze anders aus. Selbstverständlich hat jeder das süßeste Kind der Welt und möchte eben dieses süße Lächeln auch der ganzen Welt zeigen. Eben damit noch viel mehr Leute sagen “Ohhhh, sooo süß!” Durch soziale Medien nimmt unser Wunsch nach Bestätigung aber eine Fahrt auf, die wir längst nicht mehr kontrollieren können.

Guckt dich einer komisch auf der Strasse an, gehst du weiter. Guckt dich einer komisch im Netz an, siehst du es nicht. Auch weißt du leider nicht, was mit den Bildern gemacht wird. Ich will jetzt gar nicht von Kinderpornographie oder ähnlichem sprechen. Ich glaube, kaum einer, bei dem die Kerzen auf der Torte noch halbwegs brennen, würde Bilder seiner Kinder in Netz einstellen, die genau zu solchen Zwecken missbraucht werden könnten. Obgleich, sag niemals nie. In welche Hände die normalen Bilder kommen, das weiß man aber auch nicht.

Wenn es denn dann nur normale Bilder wären. War früher vielleicht das peinlichste, wenn auf der Hochzeit ein Bild auftauchte, auf dem man auf dem Pott sitzt, könnten manche Veranstaltungen jetzt ganz gesprengt werden, wenn man man die Bilder der Kinder aus dem Netz zieht. Folgendes finde ich mehr als grenzwertig:

Flatlays – Diesen Begriff kannte ich vor Instagram nicht. Es heißt soviel wie: Dinge flach auf dem Boden oder dem Tisch drapieren und somit ein schönes Gesamtbild zeigen. Das können Klamotten sein, aber auch Speisen. Halt, stopp, das können auch kleine Kinder sein, die liegen ja eh viel rum und sind damit ein super Teil eines Flatlay-Konzepts, oder?

Den Beginn machte wohl einer der bekanntesten Accounts, der mit dem Kind und dem Hund. Kennt ihr nicht? Ich glaube, mittlerweile haben vier Kinder jeweils neben dem Labrador im Arm ihren Mittagsschlaf gehalten und der Mom damit eine ganze Menge Follower und wohl auch Geld gebracht. Bilder von schlafenden Babys oder Kleinkindern mit dem Haustier (Achtung, es sollte dann schon ein Hund oder eine Katze sein) gibt es mittlerweile in rauen Mengen. Viele Accounts haben das Konzept kopiert. Ich fand das ja auch immer süß, oder? Cuteness Overload nennt man das doch? Was ich mich ehrlicherweise schon immer gefragt habe: Wie man das mit zwei Lebewesen (oder mehr, an Hunden und Katzen mangelt es bei manchen Accounts nicht) so hinkriegt. Aber gut, das ist ein anderes Thema und es ist ein Schelm, der Böses dabei denkt, wie man denn Mensch und Tier nur gleichzeitig für längere Zeit ‘schlafend’ für ein Bild nebeneinander legt. Ich meine, solange bis das Setting drumherum aufgebaut ist, das Licht stimmt und die Aufnahme im Kasten ist.

Kein Hund oder keine Katze zur Hand? Nehmen wir einen Haufen Kuscheltiere, nebeneinander schön in Reih’ und Glied aufgebahrt. Das eigene Kind wie eins dieser Kuscheltiere in Reihe. Wirkt irgendwie leblos? Ja, auf mich auch. Nicht einfallsreich genug? Ja, finde ich auch. Da sollten doch besser ganze Bilder her. Das schlafende Kind als Teil eines Gesamtkunstwerks drapiert und da ist der Phantasie der (wohl zumeist) Mütter keine Grenzen gesetzt. Da ist das Baby Feuerwehrmann, Engel, fliegt anderswie durch die Lüfte, ist selber Künstler, sprich: malt ein Bild. Mit Brille auf.

Aber es geht noch weiter: Schlafende Kinder in Blätterhaufen, schlafende Kinder in Feder- oder Blütenmeeren oder gleich alles zusammen: Schmusetiere (gerne eines der gerade gefragten), Federn, Blumen UND schlafendes Kind! Na, das muss doch laufen, so ein Bild, oder? Die großen amerikanischen Accounts machen es doch vor. Was das bei mir auslöst: Mir wird ehrlich gesagt schlecht. Schlafend auf Blumen gebettet – erinnert mich eher an Szenen im Video zu November Rain von Guns ‘N’ Roses, als dass ich denken würde, wie süß ich das finde.

Versteht mich nicht falsch. Kinder gehören zum Leben dazu, Kinder gehören deshalb für mich auch irgendwie ins Netz. Wäre ja auch komisch, wenn ich das als Blogger so völlig anders sehen würde. Das Ja oder Nein will ich an dieser Stelle also gar nicht diskutieren. Das entscheidet jeder für sich und seine Kinder selbst. Mir geht es eher darum sein Kind als Kunstobjekt zu inszenieren. Unnatürlich. Wie ein Stillleben. Es beginnt damit, dass Kinder für süße Schlafbilder auf einmal drinnen immer Mützen tragen müssen, am besten die mit Zipfel. Oder eben direkt auf einem Bett aus Blumen schlafen.

Warum machen wir das? Braucht alles noch ein Add-on? Und bis wohin darf das gehen? Und was machen wir mittlerweile eigentlich alles um ein vermeintlich schönes Bild, oder sagen wir besser reichweitenstarkes Bild von unseren Kindern zu machen? Apropos Reichweite – ja, Bilder auf denen man die Gesichter und Mimik (meist ist es natürlich das gewinnende Lächeln) erkennen kann, bekommen definitiv mehr Likes und Kommentare und ja, damit lässt sich auch Geld verdienen. Das Kinder zum Beispiel Models für Werbeaufnahmen sind, das gibt es ja nun nicht erst seit gestern. Gestern waren sie allerdings noch anonym.

Und wir als Konsument, der der Darstellung von Kindern im Netz eigentlich kritisch gegenüber steht? Wir liken fröhlich Flatlays, kleine Elfen, die durch den Wald springen und die süßesten zahnlosen Babylächeln. Wo keine Nachfrage ist, da wäre auch kein Markt. Also nicht vielleicht auch einmal das eigene Verhalten hinterfragen?

Eine einzige Antwort auf die Frage Kinder ins Netz oder nicht? gibt es bestimmt nicht. Aber ich bin der Meinung, dass wir als Eltern diesem Thema durchaus kritisch gegenüber treten sollten. Wie ich persönlich es handhabe?

Ja, meine Kinder gehören zu mir auch online dazu. Es gibt von ihnen auch Bilder im Netz. Sehr wenige von ihnen, wo man ihre Gesichter erkennen kann. Ich habe schon vor zwei Jahren in einem Interview gesagt, dass ich mit meinem Blog und mit meinen Social Media Kanälen nie “Fans meiner Kinder” schaffen wollte. Ich möchte ein Gefühl für Familie geben, in das sich jede Familie reindenken kann. Denn jeder ist doch von seinen eigenen Kindern der größte Fan und so sollte es auch bleiben.


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